Dhirendra Brahmachari

Wie sein Leben und Sterben ist auch die Herkunft von Swami Dhirendra Brahmachari von Geheimnissen umwittert. Einige Quellen sagen, dass er als Brahmanensohn im Dorf Chandpura im nordindischen Bundesstaat Bihar zur Welt kam, andere sprechen von einem Dorf in Kashmir. Über sein Geburtsdatum liegen keine Angaben vor, was Zeit seines Lebens zu Spekulationen über sein Alter führte. Wie er selber von sich sagte, war er ein wilder, ungezogener Bengel mit einer grossen Abenteuerlust, die ihn des öfteren in schwierige und gefährliche Situationen brachte. Im Alter von zwölf Jahren las er in der Bhagavad Gita, wie Krishna zu Arjuna sagt: «Der Yogi ist grösser als die Asketen, er ist grösser als die Wissenden, grösser als jene, die rituelle Handlungen vollziehen; werde darum ein Yogi!» Da beschloss er, ein Yogi zu werden. Diesen Weg verfolgte er schon als junger Mann mit grosser Zähigkeit und Hingabe, und er verliess früh seine Familie, um einen Guru zu finden. Er suchte viele Meister auf, aber trotz aller Bemühungen schien es zunächst unmöglich, den einen persönlichen Guru zu finden, denn viele sogenannte Meister entpuppten sich als Scharlatane oder sie stellten Forderungen bezüglich Kleidung und Haartracht an ihn, die der eigenwillige, starrköpfige junge Mann nicht akzeptierte.
Nach Jahren der Wanderung schien er vollkommen verarmt gestrandet zu sein. Über diese dunkle Zeit der Verzweiflung sagte er selber: «Ich hatte keine Vorstellungen mehr von einem Guru, mein Geist war absolut leer. Aber nur wenn das Leben schwarz ist wie eine schwarze Tafel, kann man etwas Neues draufschreiben; nur wo absolute Leere ist, kann man etwas Neues hineingiessen; nur wenn keine eigenen Vorstellungen mehr existieren, ist der Mensch bereit, Neues – oder das Absolute – zu erkennen und zu akzeptieren. Es ist ein Zustand zwischen absoluter Hingabe und dem Offensein für das Göttliche oder das, was immer man sein Gegenteil nennt.» Schliesslich begegnete er seinem Guru Maharshi Kartikeya, der ihn in seinem Ashram in Gopal Khera bei Lucknow mit verschiedenen Yoga-Techniken vertraut machte. Dort praktizierte er in einer unterirdischen Höhle Pranayama und es gelang ihm, dadurch einen Zustand vollkommener innerer Ruhe zu erreichen, der ihn auf die höheren Ebenen des Yoga führte. Nun war er ein Swami geworden, ein Siddha und Yoga-Meister, und sein Guru wies ihn an, die Yoga-Kriyas in der Öffentlichkeit zu lehren.
1956 wurde in Calcutta sein erstes Buch Yogic Sukshma Vyayama veröffentlicht, und Menschen aus allen Schichten liessen sich von seiner charismatischen Persönlichkeit anziehen, um mehr über wirkliche Yogapraxis zu erfahren. Swamiji liess sich in New Delhi nieder und wurde erst Lehrer des damaligen indischen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru und später Mentor von dessen Tochter, der zukünftigen Ministerpräsidentin Indira Gandhi und ihrer Familie. 1970 erschien sein zweites Buch Yogasana Vijnana, das zweifellos beste Werk, das je über das richtige Üben der Yoga-Stellungen geschrieben wurde. Durch seine unglaublichen Fähigkeiten und Verwirklichungen wurde er schnell berühmt und zu einem «Politikum», da Indira Gandhi viel Wert auf seinen Rat legte. Er unterhielt grosse Ashrams in Delhi, Jammu, Katra, Lucknow und Mantalai, einem kleinen Bergdorf in Kashmir, und Tausende von Menschen liessen sich von ihm unterweisen und inspirieren. Als er 1981 von Zeitungsleuten gefragt wurde, ob er gedenke, wie sein Guru Maharshi Kartikeya, der 1953 im Alter von 336 Jahren in Maha-Samadhi einging, von dieser Welt zu scheiden, antwortete er: «Das würde ich sehr gerne tun, falls ich nicht bei einem Flugzeugabsturz ums Leben komme.» 1988 informierte er die Öffentlichkeit über seine grosse Enttäuschung, dass fast alle Menschen Yoga sehr oberflächlich praktizieren und von all seinen zahlreichen Anhängern und Schülern keiner wirklich bereit war, ein Yogi zu werden, worauf er sich vollkommen zurückzog. Von diesem Zeitpunkt an unterrichtete er nur noch Reinhard Gammenthaler als seinen letzten Schüler, da dieser genügend Hingabe, Durchhaltewillen und Lerneifer zeigte. Swamiji verbrachte mit ihm längere Perioden in Mantalai und unterwies ihn in der Abgeschiedenheit der Berge darin, sein Yoga-Fundament zu zementieren, das 1979 gelegt worden war. Anfang Juni 1994 kündigte er im Ashram in Delhi seinen endgültigen Weggang aus dieser Welt an, und einige Tage später, am 9. Juni 1994, zerschellte er mit einem kleinen einmotorigen Flugzeug an einem Berghang bei Mantalai (Jammu & Kashmir).

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